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HAUPTABTEILUNG KERNGESCHÄFT |
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L123 |
Entscheidung über die originäre Unterscheidungskraft der Anmeldung einer Unionsmarke
(Artikel 7UMV)
Alicante, 16/09/2020
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LS-IP LOTH & SPUHLER INTELLECTUAL PROPERTY LAW PARTNERSCHAFT VON RECHTSANWÄLTEN MBB ALPHA-Haus, Garmischer Strasse 35 D-81373 München ALEMANIA |
Anmeldenummer: |
017774811 |
Ihr Zeichen: |
2118/18 |
Marke: |
Living
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Art der Marke: |
Wortmarke |
Anmelderin: |
Derag Livinghotels AG + Co. KG Fraunhoferstraße 2 D-80469 München ALEMANIA |
Das Amt beanstandete mit Schreiben vom 18/11/2019 und 07/03/2018 die Anmeldung unter Berufung auf fehlende Unterscheidungskraft gemäß Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b UMV und Artikel 7 Absatz 2 UMV. Die Beanstandung wird in den beiliegenden Schreiben begründet.
Die Anmelderin nahm mit ihrem Schreiben vom 08/05/2018 Stellung zu der Mitteilung des Amtes vom 07/03/2018. Aus der Stellungnahme ging ein Antrag auf Verkehrsdurchsetzung hervor. Auf den Aufruf vom zur Klarstellung der Art des Antrags, machte die Anmelderin mit ihrem Schreiben vom 19/09/2018 einen Hilfsantrag auf Verkehrsdurchsetzung geltend.
Auf die o.a. Stellungnahme der Anmelderin ging das Amt bereits mit dem Schreiben vom 18/11/2019 ein; mit gleichem Schreiben wurde die Beanstandung auf Dienstleistungen der Klasse 36 erweitert. Hierzu nahm die Anmelderin nach gewährter Fristverlängerung am 18/03/2020 Stellung; die Stellungnahme kann wie folgt zusammengefasst werden:
Das Anmeldezeichen verfügt über die notwendige Unterscheidungskraft.
Gemäß der Rechtsprechung genügt ein Minimum an Unterscheidungskraft, um das vorliegende Schutzhindernis zu überwinden; besondere Originalität ist nicht erforderlich.
Die Unterscheidungskraft eines Zeichens kann nicht deshalb verneint werden, weil es als Werbemittel aufgefasst wird. Eine Marke kann gleichzeitig als Werbeslogan und als betrieblicher Herkunftshinweis verstanden werden, wenn sie nicht unmittelbar beschreibend ist und aus einer gewöhnlichen Werbemitteilung besteht bzw. wenn sie einen Interpretationsaufwand verlangt und eine gewisse Originalität und Prägnanz aufweist, die sie merkfähig macht.
Aus der Sicht der angesprochenen Verkehrskreise stellt das Zeichen „Living“ keinen unmittelbaren und direkten Hinweis auf die beanstandeten Dienstleistungen bzw. deren Eigenschaft dar; somit ist das Zeichen eigentümlich und fantasievoll. Die angesprochenen Verbraucher werden das Zeichen „Living“ nicht glatt als Hinweis auf Unterkünfte und Beherbergungen zum „Leben“ verstehen. Es ist auch nicht nachvollziehbar weshalb es sich bei dem Anmeldezeichen um eine Werbebotschaft handeln soll, da mit dem Zeichen „Living“ (ohne Adjektive o.ä.) nichts plakativ angepriesen wird; es stellt keine Aussage dar, die dem Verbraucher etwas vermitteln könnte.
Selbst wenn man das Zeichen als Werbeaussage sehen würde, haben die beanspruchten Dienstleistungen keinen Rückschluss auf „leben/wohnen“, da diese Begriffe eindeutig auf einen längerfristigen oder unbefristeten Aufenthaltsrot hindeuten, während sich die in Klasse 43 beanspruchten Dienstleistungen jedoch auf einen vorübergehenden Aufenthalt von kurzer, befristeter Dauer beziehen.
Bei den Dienstleistungen der Klasse 36 handelt es sich hauptsächlich um Vermittlungsdienstleistungen; die selbst wenn es um Immobilien geht, den Bezug zu „Wohnen“ oder „Leben“ missen lassen; darüber hinaus kann ein Immobilienmakler durchaus auch gewerbliche Objekte anbieten.
Es bedarf eines gewaltigen Fantasieüberschusses oder analysierender Betrachtungsweise um bei dem Zeichen „Living“ auf die beanstandeten Dienstleistungen zu schließen. Das Zeichen „Living“ führt weit weg von einer werbeüblichen Aussage und verfügt aufgrund seiner Kürze, Originalität und Prägnanz über das erforderliche Mindestmaß and Unterscheidungskraft und stellt sehr wohl einen Hinweis auf die Anmelderin dar.
Es wird erneut auf Voreintragungen der Anmelderin verwiesen, insbesondere die bereits zitierten Unionsmarken „Livinghotel/Livinghotels“, sowie die vom Deutschen Patent- und Markenamt eingetragene Wortmarke „Living“ (DE 30 2017 019 653).
Entscheidung
Gemäß Artikel 94 UMV obliegt es dem Amt, eine mit Gründen zu versehende Entscheidung zu treffen, zu denen sich die Anmelderin äußern konnte.
Nach eingehender Prüfung der Argumente der Anmelderin hat das Amt entschieden, die Beanstandung aufrechtzuerhalten.
Mangelnde Unterscheidungskraft
Gemäß Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b UMV sind Marken von der Eintragung ausgeschlossen, die keine Unterscheidungskraft haben. Unterscheidungskräftig im Sinne dieser Rechtsvorschrift sind nur solche Zeichen, die im Hinblick auf die konkret beanspruchten Waren und Dienstleistungen in den Augen der angesprochenen Verbraucher geeignet erscheinen, die Waren oder Dienstleistungen dieses Unternehmens von denen eines anderen Unternehmens zu unterscheiden.
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass jedes der in Artikel 7 Absatz 1 UMV genannten Eintragungshindernisse voneinander unabhängig ist und getrennt geprüft werden muss. Außerdem sind die genannten Eintragungshindernisse im Licht des Allgemeininteresses auszulegen, das jedem von ihnen zugrunde liegt. Das zu berücksichtigende Allgemeininteresse muss je nach dem betreffenden Eintragungshindernis in unterschiedlichen Erwägungen zum Ausdruck kommen (16/09/2004, C-329/02 P, SAT/2, EU:C:2004:532, § 25).
Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b UMV erfasst insbesondere Marken, die es den maßgeblichen Verkehrskreisen nicht ermöglichen, „bei einem späteren Erwerb, wenn ihre Erfahrung beim ersten Erwerb positiv war, die gleiche Wahl oder, wenn sie negativ war, eine andere Wahl zu treffen“ (27/02/2002, T-79/00, Lite, EU:T:2002:42, § 26). Dies ist namentlich bei Zeichen der Fall, die bei der Vermarktung der betreffenden Waren oder Dienstleistungen üblicherweise verwendet werden (15/09/2005, T-320/03, Live richly, EU:T:2005:325, § 65).
Ein Zeichen, wie beispielsweise ein Slogan, das in der Regel andere Funktionen als die einer Marke im herkömmlichen Sinne erfüllt, „ist nur dann unterscheidungskräftig im Sinne von Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b UMV, wenn es unmittelbar als Hinweis auf die betriebliche Herkunft der fraglichen Waren oder Dienstleistungen wahrgenommen werden kann, so dass die maßgeblichen Verkehrskreise die Dienstleistungen des Markeninhabers ohne Verwechslungsgefahr von denen anderer betrieblicher Herkunft unterscheiden können“ (05/12/2002, T 130/01, Real People, Real Solutions, EU:T:2002:301, Rdnr. 20 ; und 03/07/2003, T 122/01, Best Buy, EU:T:2003:183, Rdnr. 21). Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Wie bereits in o.a. Mitteilungen erläutert und mit Wörterbuchnachweisen und Verwendungsbeispielen belegt, würde das Zeichen, für das Schutz beantragt wird, „Living“, von den maßgeblichen englischsprachigen Verkehrskreisen lediglich als informative und anpreisende Werbeaussage wahrgenommen, die
eine Sachaussage zu den angemeldeten Dienstleistungen - im Wesentlichen Immobiliendienste und Dienstleistungen der vorübergehenden Beherbergung, bzw. allesamt Dienste im Bereich Wohnen/Leben (Living) - darstellt; ob es sich dabei um kurz- oder langfristige Aufenthalte oder auch gewerbliche Objekte handelt kann dahingestellt bleiben, zumal „Living“ heutzutage auch im Bereich langfristiger Beherbergung Verwendung findet (s.u.);
positive Aspekte der angebotenen Dienstleistungen hervorheben soll: so stellt der Ausdruck „Living“ dem Verbraucher nicht lediglich – wie von der Anmelderin angemerkt - „Häuser und Räume“ an sondern Räumlichkeiten „zum Leben“/“Wohlfühlen“ oder „wie zu Hause fühlen“ (bzw. „Heime statt Häusern“ – s.u.).
Nur am Rande und ergänzend zu den Beispielen in o.a. Mitteilung erläuternd hierzu Ergebnisse einer Internetrecherche vom 10/09/2020:
https://www.cbre.co.uk/austria/services/industries-and-specialties/living
https://www.cbre.co.uk/austria/services/industries-and-specialties/living
https://www.thecollective.com/serviced-living
https://www.silverdoorapartments.com/blog/serviced-apartment-vs-hotels/
https://www.hermanmiller.com/en_gb/solutions/living-office/
https://wohnenundleben-immobilien.de/
https://www.immobilienscout24.de/anbieter/immo-leben/afba908a4af6c8a3c80165f
Es ist der Anmelderin insoweit zuzustimmen, dass ein Minimum an Unterscheidungskraft ausreicht, um einer Marke zur Eintragung zu verhelfen. Jedoch besitzt das hier angemeldete Zeichen dieses Minimum nicht. Bezüglich dieser Ausführungen ist festzustellen, dass allein maßgeblich ist, ob der relevante Verbraucher die Herkunftsfunktion des angemeldeten Zeichens erkennt. So nimmt der Gerichtshof regelmäßig in Fällen wie dem vorliegenden an, dass der relevante Verbraucher ein Zeichen, das in bestimmter Weise auf die Waren oder Dienstleistungen hinweist, nicht als Marke erkennen wird (31/05/2007, R-0098/2007- 1 1A Gesund, Rndr. 29).
In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass das Fehlen der Unterscheidungskraft bereits festgestellt werden kann, wenn der semantische Gehalt des fraglichen Wortzeichens den Verbraucher auf ein Merkmal der Dienstleistungen hinweist, welches deren Verkehrswert betrifft und, ohne präzise zu sein, eine verkaufsfördernde oder eine Werbebotschaft enthält, die von den maßgebenden Verkehrskreisen in erster Linie als eine solche und nicht als Hinweis auf die betriebliche Herkunft der Waren und Waren wahrgenommen werden wird (30/06/2004, T 281/02, Mehr für Ihr Geld, EU:T:2004:198, Rdnr 31).
Es ist nicht nötig, dass das Zeichen eine Eigenschaft der Dienstleistungen konkret benennt. Vorliegend maßgeblich ist der qualitative und anpreisende Gehalt der Aussage: Stellt man sich also vor, dass die strittigen Dienstleistungen (Immobilien- und Beherbergungsdienste) unter der Bezeichnung „Living“ angeboten werden, wird der angesprochene Verkehr mit Sicherheit die vom Amt dargelegte Bedeutung wahrnehmen. Dem Verbraucher werden Immobilien und/oder Beherbergungen in „zum Leben“ (nicht nur „Übernachten“) in Aussicht gestellt, solche in denen man sich wohl fühlt und die auch für eventuelle längere Aufenthalte geeignet oder ausgestattet sind.
Ferner ist nicht vorauszusetzen, dass die Angaben, aus denen die in diesem Artikel genannte Marke besteht, zum Zeitpunkt der Anmeldung bereits tatsächlich für die in der Anmeldung aufgeführten Dienstleistungen oder für ihre Merkmale anpreisend verwendet werden. Es genügt, wie sich schon aus dem Wortlaut der Bestimmung ergibt, dass die Zeichen oder Angaben zu diesem Zweck verwendet werden können. Ein Zeichen ist daher von der Eintragung auszuschließen, wenn es zumindest in einer seiner möglichen Bedeutungen ein Merkmal der in Frage stehenden Waren oder Dienstleistungen bezeichnet. (Vgl. Urteil vom 23.10.2003, C 191/01 P, „Wrigley“, Randnummer 32, Hervorhebung hinzugefügt.).
Die Anmelderin führt aus, dass es mehrere Interpretations- und Gedankenschritte erfordere, um zum unterstellten Begriffsverständnis zu gelangen und dass „Living“ nicht wissenschaftlich analysiert würde oder einzelne (anpreisende) Bedeutungen hineingelesen würden.
Entgegen der Meinung der Anmelderin bedarf es bezüglich des Ausdrucks „Living“ einerseits keines Gedankenaufwands, um schon abstrakt zu einem schlüssigen Sinngehalt – und erst recht zu einem Zeichenverständnis in Kombination mit den strittigen Dienstleistungen – zu kommen (siehe o.a. Wörterbuchnachweise so wie die Erläuterungen in o.a. Mitteilungen). So kann, entgegen der Meinung der Anmelderin, auch nicht von einem erforderlichen Fantasieüberschuss oder analysierender Betrachtungsweise gesprochen werden.
Darüber hinaus muss auch berücksichtigt werden, dass Prüfungsgegenstand von Artikel 7 Absatz 1 Buchstaben b und c UMV die Marke aus der Sicht des relevanten Publikums in Bezug auf die angemeldeten Waren und Dienstleistungen ist (Entscheidung der Beschwerdekammer R 0752/2008-1 vom 23/10/2008, Buch24, § 16). Es muss weder bei Betrachtung der Marke spontan auf die Dienstleistungen geschlossen werden noch ist die mögliche Bedeutung einer angemeldeten Marke abstrakt zu untersuchen, sondern immer im Zusammenhang mit den relevanten Dienstleistungen.
Auf die Anmerkungen der Anmelderin zu Voreintragungen – sowohl vom EUIPO („Livinghotel/Livinghotels“) als auch vom DPMA („Living“) – ist das Amt bereits in der vorherigen Mitteilung eingegangen. Die von der Anmelderin zitierten Eintragungen sind nicht Gegenstand dieses Verfahrens und rechtfertigen keine andere Entscheidung (Urteil „Streamserve“, § 66; 12.02.2009, C-39/08, „Volkshandy“, EU:C:2009:91, § 13).
Demzufolge besitzt die angemeldete Marke „Living“ in ihrer Gesamtheit gemäß Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b und Artikel 7 Absatz 2 UMV keine Unterscheidungskraft und ist nicht geeignet, die strittigen angemeldeten Dienstleistungen von denen anderer Anbieter zu unterscheiden oder als Marke bzw. als betrieblicher Hinweis wahrgenommen zu werden.
Ergebnis
Aus den oben genannten Gründen und gemäß Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b UMV und Artikel 7 Absatz 2 UMV wird festgestellt, dass die angemeldete Unionsmarke Nr. 017 774 811 in den englischsprachigen Ländern der Europäischen Union (Irland, Malta, Vereinigtes Königreich) für folgende Dienstleistungen nicht unterscheidungskräftig im Sinne von Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b UMV ist:
Klasse 36 Immobiliendienstleistungen; Vermietung von Immobilien, Vermietung von Büros (Immobilien), Vermietung von Wohnungen; Grundstücksverwaltung; Immobilienverwaltung; Dienstleistungen eines Immobilienmaklers.
Klasse 43 Dienstleistungen von Hotels; Beherbergung von Gästen; Zimmerreservierung, Zimmervermittlung (Hotels, Pensionen); Vermietung von Gästezimmern, Vermietung von Versammlungsräumen, Vermietung von transportablen Bauten.
Die Anmeldung kann für die übrigen Dienstleistungen fortgesetzt werden:
Klasse 35 Werbung in Verbindung mit Hotels, Marketing, Verkaufsförderung (Sales Promotion), Marktforschung und Marktstudien; Beratung bei der Organisation und Führung von Unternehmen; Beratung in Fragen des Personalwesens; betriebswirtschaftliche Beratung; Erteilung von Auskünften in Handels- und Geschäftsangelegenheiten; Vermittlungsdienste in Geschäftsangelegenheiten; Vermittlung von Handelsgeschäften für Dritte; Geschäftsführung von Hotels im Auftrag Dritter; Online-Werbung in einem Computernetzwerk in Verbindung mit Hotels; Optimierung von Suchmaschinen zur Verkaufsförderung; Optimierung von Suchmaschinen zur Personalförderung; Personal-, Stellenvermittlung, Personalanwerbung, Schreibdienste, Sekretariatsleistungen.
Klasse 43 Verpflegung von Gästen; Verpflegung von Gästen in Restaurants, Verpflegung von Gästen in Cafes, Verpflegung von Gästen in Cafeterias, Verpflegung von Gästen in Schnellimbissrestaurants (Snack Bars).
Gemäß Artikel 66 Absatz 2 UMV haben Sie das Recht, gegen diese Entscheidung, die das Prüfungsverfahren nicht abschließt, Beschwerde einzulegen. Gemäß Artikel 68 UMV ist die Beschwerde innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung dieser Entscheidung schriftlich beim Amt einzulegen. Die Beschwerdeschrift muss in der Verfahrenssprache eingereicht werden, in der die Entscheidung, die Gegenstand der Beschwerde ist, ergangen ist. Innerhalb von vier Monaten nach demselben Datum ist ferner eine schriftliche Begründung der Beschwerde einzureichen. Die Beschwerde gilt erst als eingelegt, wenn die Beschwerdegebühr in Höhe von 720 EUR entrichtet worden ist.
Wenn diese Entscheidung rechtskräftig ist, wird das Verfahren zur Prüfung des Hilfsanspruchs gemäß Artikel 7 Absatz 3 UMV und Artikel 2 Absatz 2 UMDV wieder aufgenommen.
Lidija BUNTA